«Das Einzige, was in Kasachstan blüht, ist Korruption!»Offene Türen auch im Westen für Kleptokraten
Auch der Westen ist eng vernetzt mit der Selbstbedienungselite im rohstoffreichen Kasachstan: Geldwäsche Immobilienverkauf, Beratung u.a. durch den früheren britischen Premierminister Tony Blair, Waffen aus Russland, aber auch Kleinwaffen aus Deutschland, gemeinsame Waffenproduktion von deutschen und französischen Firmen in Kasachstan. Das «System Nasarbajew»: (Auszüge aus der Neuen Züricher Zeitung) Wie der Clan des Langzeitherrschers Kasachstan plünderte, gegen das die Menschen jetzt protestieren: Wie in anderen einstigen Sowjetrepubliken hatte das Ende des Kalten Krieges für die Elite beispiellose Möglichkeiten geschaffen, sich an den natürlichen Besitztümern des Landes zu bereichern. Gemäss Schätzungen wurden zwischen 1995 und 2005 Gelder in der Höhe von über einem Viertel der kasachischen Wirtschaftsleistung ins Ausland geschleust. Für einige wenige Kasachen wurden die Jahre um die Jahrtausendwende zur beispiellosen Selbstbereicherungs-Bonanza. Problemlos konnten sie auch im Westen einflussreiche «Freunde» und Banken und Immobilien finden, wenn der Einsatz stimmte. Stellvertretend dafür steht auch die enge Zusammenarbeit zwischen dem kasachischen Machthaber und dem früheren britischen Premierminister Tony Blair, der diesem mehrmals beratend zur Seite stand. Er und unzählige weitere Lobbyisten, die sich für die Interessen Nasarbajews einspannen liessen, dürften mit dazu beigetragen haben, dass das kasachische Regime im Westen während Jahren primär als Stabilitätsanker und als lukrativer Geschäftspartner angeschaut wurde – und dass man darob gerne bereit war, über die Menschenrechtsverletzungen und die Repression des autoritären Regimes hinwegzusehen. Die Geschichte Kasachstans ist ein Beispiel dafür, wie ein «gut bezahltes globales Netzwerk von Anwälten, Bankern, Politikern und PR-Managern mithalf, Ansehen und Geld eines kleptokratischen Regimes zu waschen». Kasachstan zählt nicht zu den Hauptempfängern deutscher Rüstungsexporte. In den vergangenen Jahren lieferte Deutschland regelmäßig Jagd- und Sportgewehre, Aufklärungssysteme und Störsender, leichte Helikopter sowie Satelliten- und Raketentreibstoff für das Kosmodrom Baikonur – den weltweit größten Raketenstartplatz im Süden des Landes. Auch deutsche Handfeuerwaffen wurden nach Kasachstan exportiert. So lieferte Sig Sauer hunderte Pistolen an den Sicherheitsdienst des ehemaligen Präsidenten Nasarbajew und die Anti-Terror-Einheit Arystan. Aus Sorge um die Menschenrechtslage in Kasachstan wurden 2010 weitere Waffenlieferungen vom Bafa untersagt. Diverse internationale Rüstungsfirmen wie Thales und Airbus Helicopters (beide Frankreich) produzieren bereits mit Lizenz Rüstungsgüter in dem zentralasiatischen Land – primär um neue Absatzmärkte zu erschließen. Auch Rheinmetall gründete 2015, gemeinsam mit dem kasachischen Waffenproduzent Kasachstan Engineering (KE), die deutsch-kasachische Rheinmetall KE.
Fabian Urech - Vor 13 Std.Folgen
Drei Wörter reichen, um zu erklären, was die Proteste in Kasachstan im Kern antreibt: «Grossvater, tritt ab!» Immer wieder war dieser Ruf bei den landesweiten Demonstrationen in den letzten Tagen zu hören. Immer deutlicher wurde dadurch, dass die Wut und die Frustration, die sich in dem zentralasiatischen Land gerade entlädt, nur am Rande mit den Preiserhöhungen für Flüssiggas zusammenhängt, die zum Auslöser der Unruhen wurden. Für die Protestierenden geht es um viel Grundsätzlicheres: Es geht um Nursultan Nasarbajew, den Grossvater. Und es geht darum, was der heute 81-Jährige während seiner 29 Jahre als Präsident geschaffen hat. «Kasachstan ist ein Privatunternehmen Nasarbajews geworden», sagte eine Demonstrantin in der kasachischen Wirtschaftsmetropole Almaty vor einigen Tagen in die Kamera. «Das Einzige, was hier blüht, ist die Korruption!» Diese Sicht teilen viele Kasachinnen und Kasachen, die in den letzten Tagen auf die Strasse gingen.
Sie fühlen sich übergangen von dem Mann, der auch nach seinem Rücktritt als Präsident im Jahr 2019 die bestimmende Figur im Land blieb. Und sie sind wütend über das kleptokratische System, das der Langzeitherrscher erschaffen hat – ein System, das dem herrschenden Clan sagenhaften Reichtum bescherte. Und das beispielhaft zeigt, wie ein gewiefter Autokrat, der über gewaltige Bodenschätze wacht, auch im Westen offene Türen findet, wenn er den grossen Geldkoffer mitbringt.
Eine Selbstbereicherungs-Bonanza Wie in anderen einstigen Sowjetrepubliken hatte das Ende des Kalten Krieges für die Elite beispiellose Möglichkeiten geschaffen, sich an den natürlichen Besitztümern des Landes zu bereichern. Nasarbajew tolerierte das – solange ihm die Nutzniesser loyal blieben. Gemäss Schätzungen wurden zwischen 1995 und 2005 Gelder in der Höhe von über einem Viertel der kasachischen Wirtschaftsleistung ins Ausland geschleust. Für einige wenige Kasachen wurden die Jahre um die Jahrtausendwende zur beispiellosen Selbstbereicherungs-Bonanza.
Ein Börsengang als Deckmantel Einen besonders anschaulichen Einblick in das System der Korruption, das Nasarbajews kultivierte, bietet ein 2020 erschienenes Buch von Tom Burgis. Der britische Investigativjournalist zeichnet in seiner akribischen Recherche nach, wie sich drei Geschäftsmänner, die dem kasachischen Präsidenten nahestanden und diesen gemäss Medienberichten einst mit Wahlkampfspenden unterstützten, an den Bodenschätzen des Landes bereicherten. Das von dem Trio geführte Rohstoffunternehmen ENRC, das unter anderem im Abbau von Eisenerz tätig war, ging im Jahr 2008 an die Londoner Börse. Das spülte Hunderte Millionen auf die Konten der dubiosen Geschäftsmänner. Und es ermöglichte dem Unternehmen, über London Dutzende Millionen Dollar in undurchsichtige Firmenkonstrukte in Steueroasen zu transferieren. Auch investierte ENRC bald in verschiedenen Ländern Afrikas in den Rohstoffsektor: Bei den entsprechenden Akquisitionen etwa in Kongo-Kinshasa ging es laut den Recherchen von Burgis zumindest teilweise darum, im grossen Stil Gelder zu veruntreuen. ENRC zog sich 2013 von der Londoner Börse zurück – just nachdem die britische Strafermittlungsbehörde SFO Ermittlungen gegen das Unternehmen aufgenommen hatte wegen Betrugs, Bestechung und Korruption in Afrika. Villen am Genfersee Wie umfassend das Vermögen ist, das Nasarbajews Familie über die Jahre angehäuft hat, ist unklar. Schätzungen gehen von bis zu 7 Milliarden Dollar aus. Klar scheint indes, dass das engste Umfeld des Langzeitherrschers wenig Zurückhaltung zeigt, wenn es darum geht, die angehäuften Millionen im Ausland zu investieren. Gemäss einer Recherche von Radio Free Europe aus dem Jahr 2020 besitzt der engste Familienkreis Nasarbajews allein in Europa und den USA Immobilien im Gesamtwert von 785 Millionen Dollar.
Im eindrücklichen Portfolio der Herrscherfamilie finden sich demnach auch drei Anwesen in der Schweiz. Seit langem eng verbandelt ist der kasachische Erdölsektor mit dem hiesigen Rohstoffhandelsplatz. Auch Schweizer Banken pflegten lange gute Beziehungen nach Zentralasien. In Burgis’ Recherche spielt der Ableger einer Schweizer Bank in London eine wichtige Rolle dabei, kasachisches Geld zu waschen.
Die Freunde im Westen Auch in einem weiteren Punkt zeigt die Schweiz, wie stark das «System Nasarbajew» aufs Ausland ausstrahlte. Vor rund sechs Jahren sorgte die kasachische Lobbying-Affäre in Bundesbern während Wochen für rote Köpfe. Die Episode zeigte zum einen, wie bemüht das Regime aus Zentralasien war, sein Image im Ausland aufzupolieren und um die eigenen Interessen zu werben. Zum anderen war sie Ausdruck davon, wie problemlos Nasarbajew auch im Westen einflussreiche «Freunde» finden konnte, wenn der Einsatz stimmte. Stellvertretend dafür steht auch die enge Zusammenarbeit zwischen dem kasachischen Machthaber und dem früheren britischen Premierminister Tony Blair, der diesem mehrmals beratend zur Seite stand. Er und unzählige weitere Lobbyisten, die sich für die Interessen Nasarbajews einspannen liessen, dürften mit dazu beigetragen haben, dass das kasachische Regime im Westen während Jahren primär als Stabilitätsanker und als lukrativer Geschäftspartner angeschaut wurde – und dass man darob gerne bereit war, über die Menschenrechtsverletzungen und die Repression des autoritären Regimes hinwegzusehen. Für Tom Burgis ist die jüngste Geschichte Kasachstans deshalb auch ein Beispiel dafür, wie ein «gut bezahltes globales Netzwerk von Anwälten, Bankern, Politikern und PR-Managern mithalf, Ansehen und Geld eines kleptokratischen Regimes zu waschen».
Das «System Nasarbajew»: Wie der Clan des Langzeitherrschers Kasachstan plünderte (msn.com)
Über das Buch
Und Sie glaubten zu wissen, was Korruption ist?
Mord, Korruption, schmutziges Geld – Tom Burgis, preisgekrönter Enthüllungsjournalist, recherchierte in dieser einmaligen Dokumentation die unfassbaren Dimensionen politischer und wirtschaftlicher Verbrechen. Nie vorher wurden so eindrücklich und tiefenscharf die tödlichen, missbräuchlichen und gewissenslosen Machenschaften von Banken, Geheimdiensten und Milliardären aufgedeckt und analysiert. Durch dieses Buch wird erstmals das unglaubliche, tatsächliche Ausmaß der uns täglich umgebenden und vor nichts haltmachenden Kriminalität sichtbar. Tom Burgis entlarvt ein globales Netzwerk, das strikt im Geheimen agiert, in das auch die vermeintlich unbestechlichen westlichen Regierungen verstrickt sind. Ein unfassbarer Bericht, der einem der Atem verschlägt. »Spannend wie ein Thriller« wäre untertrieben.
Der Fluch des Reichtums (westendverlag.de)
Zu den deutschen Rüstungsexporten nach Kasachstan: Militärischer Sektor in Kasachstan Kasachstan zählt nicht zu den Hauptempfängern deutscher Rüstungsexporte. In den vergangenen Jahren lieferte Deutschland regelmäßig Jagd- und Sportgewehre, Aufklärungssysteme und Störsender, leichte Helikopter sowie Satelliten- und Raketentreibstoff für das Kosmodrom Baikonur – den weltweit größten Raketenstartplatz im Süden des Landes. Auch deutsche Handfeuerwaffen wurden nach Kasachstan exportiert. So lieferte Sig Sauer hunderte Pistolen an den Sicherheitsdienst des ehemaligen Präsidenten Nasarbajew und die Anti-Terror-Einheit Arystan. Aus Sorge um die Menschenrechtslage in Kasachstan wurden 2010 weitere Waffenlieferungen vom Bafa untersagt. In den vergangenen Jahren sind die Rüstungsimporte Kasachstans stark angestiegen. Allein 2015 importierte Kasachstan laut SIPRI mehr Großwaffensysteme als in den gesamten vier Jahren zuvor. Auch die Militärausgaben haben sich seit 2003 fast vervierfacht. Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Erdöl- und Gasexporten sind diese im Zuge des Ölpreisverfalls seit 2014 etwas gesunken, 2018 und 2019 jedoch wieder stark gestiegen. Den größten Anteil der kasachischen Importe machen Waffenlieferungen aus Russland aus, die in den vergangenen Jahren u. a. Schützenpanzer, Raketen, bewaffnete Kampf- und Transporthubschrauber sowie Kampfflugzeuge und Minenräumboote lieferten. Um die Abhängigkeit von russischen Rüstungsexporten zu vermindern, sollen bis 2021 80 Prozent des militärischen Bedarfs im eigenen Land produziert werden (derzeit ca. 50 Prozent, Stand Dezember 2018). Gleichzeitig soll durch den Ausbau der Rüstungsindustrie ein neuer Exportsektor geschaffen werden, der die kasachische Wirtschaft unabhängiger von Öl- und Gasexporten macht. Diverse internationale Rüstungsfirmen wie Thales und Airbus Helicopters (beide Frankreich) produzieren bereits mit Lizenz Rüstungsgüter in dem zentralasiatischen Land – primär um neue Absatzmärkte zu erschließen. Auch Rheinmetall gründete 2015, gemeinsam mit dem kasachischen Waffenproduzent Kasachstan Engineering (KE), die deutsch-kasachische Rheinmetall KE. Die Anzahl der kasachischen Streitkräfte wurden im Zuge der militärische Neuausrichtung und Professionalisierung auf 39.000 Soldat*innen verringert. Gleichzeitig wurde der Umfang der militärischen Übungen und Ausbildung – auch an deutschen Bundeswehrkasernen werden kasachische Militärs ausgebildet – ausgeweitet. Zusätzlich soll 70 Prozent des militärischen Equipments, teilweise noch aus ehemaligen Beständen der Sowjetunion, modernisiert werden. Regimekritische Demonstrationen werden zumeist von der Polizei und anderen Sicherheitskräften, häufig unter Anwendung von Gewalt, unterdrückt. Diverse Berichte verweisen auf Folter, Misshandlungen und menschenunwürdige Verhörmethoden durch kasachische Sicherheitskräfte.
Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der Europäischen Union Derzeit bestehen keine Sanktionen seitens der Europäischen Union, OSZE oder Vereinten Nationen gegen Kasachstan. Die Menschenrechtssituation in Kasachstan ist weiterhin problematisch. Die Meinungsfreiheit ist stark einschränkt. Auch die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind wesentlich beschränkt, obwohl alle relevanten Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen unterzeichnet wurden. Aufgrund der starken Beschränkung der bürgerlichen und politischen Rechte und Freiheiten bewertet Freedom House Kasachstan als „nicht frei“. Unter Präsident Nursultan Nasarbajew („Führer der Nation“) wurden Kritiker*innen strafrechtlich verfolgt. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt. Laut OSZE gibt es keine freien und fairen Wahlen. Im Zuge friedlicher Proteste kommt es häufig zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei und willkürlichen Verhaftungen von Demonstrant*innen und Journalist*innen. Geständnisse werden häufig unter Anwendung von Folter erzwungen. Amnesty International dokumentierte schwere Fälle von Folter und sexueller Misshandlung in den Gefängnissen. Kasachstan sieht sich mit einer zunehmenden islamistischen Radikalisierung konfrontiert. Neben lokal operierenden, extremistischen Gruppierungen kämpfen 700-1000 kasachische Staatsbürger*innen auch für den so genannten Islamischen Staat in Syrien. Auch ein wachsender kasachischer Nationalismus und ethnische Spannungen mit der in Kasachstan lebenden russischen Minderheit bergen Konfliktpotenziale. Die im September 2017 veröffentlichte Militärdoktrin thematisiert indirekt die Gefahr einer russischen Unterminierung der territorialen Integrität Kasachstans durch die Förderung separatistischer Bestrebungen der russischen Minderheit. Konflikte um Wasser und Energierohstoffe zwischen dem wasserreichen, aber rohstoffarmen Kirgistan sowie Tadschikistan und den rohstoffreichen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan an den Unterläufen der Flüsse Amudarja und Syrdarja sind bislang ungeklärt. Die gesamte zentralasiatische Region wird als Transitkorridor zum Transport von Drogen aus Afghanistan genutzt. Auch der illegale Handel mit Waffen, Menschen und Organen floriert in Folge von Armut, mangelnder Rechtsstaatlichkeit und nicht demokratisch kontrollierten Eliten. Wurden die internationalen Schwarzmärkte nach dem Ende der Sowjetunion noch mit Großwaffensystemen geflutet, sind heutzutage insbesondere Kleinwaffen und leichte Waffen zentraler Gegenstand des illegalen Waffenhandels in der Region. Nach Ende des Kalten Krieges wurde in Zentralasien mittels multilateraler Verträge eine kernwaffenfreie Zone (KWFZ) eingerichtet. Kasachstan ist zudem Mitgliedsstaat des Vertrages über die Streitkräfte in Europa und hat als OSZE-Mitglied das Wiener Dokument unterzeichnet. Seit dem Ende des NATO-geführten ISAF-Einsatzes sind keine alliierten Truppen mehr in Zentralasien stationiert. Im Zuge des Mitte 2014 stark gefallenen Ölpreises sind auch die kasachischen Militärausgaben auf 1,1 Prozent des BIPs (2020) gesunken. Eine deutliche Erhöhung der absoluten Militärausgaben könnte die sozioökonomische Entwicklung des Landes – aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation – negativ beeinflussen.