Mit dem obigen Slogan bewarben amerikanische Reisebüros Anfang der Achtziger Jahre Reisen nach Europa im Zuge der Diskussion um die Stationierung atomar bestückter Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper. Nun scheint das Pentagon erneut mit einem Atomkrieg in Europa zu rechnen.
von Leo Ensel
Es gibt Nachrichten, es gibt Fakten, die so ungeheuerlich sind, dass sie einem schlicht die Sprache verschlagen. Wie es auch ein Ausmaß an Unverschämtheit gibt, das nur noch fassungslos macht. Frechheit siegt, wie der Volksmund seit Jahrhunderten weiß.
Das Problem dabei: Ist erst einmal eine bestimmte Grenze überschritten, hat die Impertinenz irgendwann atemberaubende Ausmaße angenommen, dann ist sie einfach zu groß, um noch geglaubt, ja überhaupt noch wahrgenommen zu werden!
Genau in diese Kategorie fällt folgende Meldung der letzten Tage:
Pentagon lässt Folgen eines Atomkrieges in Europa abklären
Das U.S. Army Corps of Engineers , das zur US-Armee gehört, will einen Auftrag vergeben, um die Auswirkungen von Atomwaffenexplosionen auf die landwirtschaftliche Produktion genauer abzuklären. Die Ausschreibung für den 34-Millionen-Dollar-Auftrag ging am 12.
September 2024 zu Ende. Es geht um die Simulierung von Atomkriegen auf globaler Ebene, die zur Zerstörung der landwirtschaftlichen Systeme wie z.B. landwirtschaftlicher Betriebe führen würden, und um eine erhöhte Abdeckung speziell der ehemaligen Ostblockländer.
By the way: Die Ausschreibung des Pentagons wurde am Dienstag, den 10. September online gestellt, die Deadline war bereits zwei Tage später. Jeder, der schon einmal eine Ausschreibung selbst verfasst hat, weiß, was das bedeutet …
Preisfrage: Warum sind es dem Pentagon ganze 34 kostbare Steuer-Millionen wert, um herauszufinden, welche Schäden ein globaler Atomkrieg („nuclear warfare on a global scale“) für die Agrarwirtschaft („effects of nuclear weapons on agricultural systems“) und Umwelt über Osteuropa und Westrussland hinaus („regions beyond eastern Europe and western Russia“) zur Folge hätte?
Und noch etwas: Haben Sie einen Bericht darüber in der Tagesschau gesehen? Gab es große Schlagzeilen auf den Titelseiten der Leitmedien? Nahmen unser Bundeskanzler, unsere Außenministerin oder gar unser Kiegstüchtigkeitsminister dazu Stellung? Sahen Sie erregte Diskussionen bei Caren Miosga, Sandra Maischberger, Markus Lanz oder Maybrit Illner?
Gingen hunderttausende oder – man wird ja bescheiden – wenigstens ein paar tausend Menschen protestierend auf die Straße?
Kurz: Wie ist es eigentlich möglich, dass unser großer Bruder jenseits des Atlantiks – nicht etwa heimlich still und leise, sondern in aller Öffentlichkeit – die Folgen eines globalen Atomkriegs für die europäische Nahrungsmittelproduktion untersuchen lässt und sich kein Schwein hier groß darüber aufregt?
Die klassische Antwort darauf hat bereits vor 70 Jahren der Schweizer Schriftsteller Max Frisch in seinem Drama Biedermann und die Brandstifter gegeben.
BIEDERMANN: Herr Eisenring, ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, offen
gesprochen: – ist wirklich Benzin in diesen Fässern?
EISENRING: Sie trauen uns nicht?
BIEDERMANN: Ich frag ja nur.
EISENRING: Wofür halten Sie uns, Herr Biedermann, offen gesprochen: – wofür
eigentlich?
BIEDERMANN: Sie müssen nicht denken, mein Freund, dass ich keinen Humor habe,
aber Ihr habt eine Art zu scherzen, ich muss schon sagen.
EISENRING: Wir lernen das.
BIEDERMANN: Was?
EISENRING: Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung (finde ich) ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.
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